Für immer mehr Unternehmen wird es schwieriger, passende Auszubildende zu finden. Hier kann es sich lohnen den Suchfokus um die Gruppe von Bewerbern mit Ausbildungsabbruch zu erweitern. Um die Eignung dieser Kandidaten angemessen zu beurteilen, kommt es auf zwei Faktoren an:
1. Hintergrundwissen zu Ausbildungsabbrüchen
2. die 'richtigen' Fragen im Rekrutierungsprozess
In diesem Artikel finden Sie beides - Hintergrundwissen und Vorschläge, auf was Sie im Umgang mit Bewerbern mit Ausbildungsabbruch achten können.
Ausbildungsabbrüche lassen sich von zwei Seiten betrachten: Einerseits als Defizit und andererseits als Chance:
- Betrachtet man Ausbildungsabbrüche als Defizit, verringert sich die Auswahl an potenziellen Bewerbern erheblich. Fast jeder vierte Ausbildungsvertrag (in absoluten Zahlen: 148.635) wurde laut Berufsbildungsbericht (2012) im Jahr 2011 gelöst.
- Betrachtet man Ausbildungsabbrüche hingegen als Chance, so erweitert sich der Bewerberkreis und der Blick wird auf das Potential der Bewerbenden gerichtet.
Letzten Endes müssen vor allem Betrieb und Auszubildender zueinander passen. Daher lohnt sich die Zeitinvestition, die jeweiligen Ausbildungsabbrüche ausgewählter Bewerber genauer unter die Lupe zu nehmen.
Was genau bedeutet "Ausbildungsabbruch"
Bei Ausbildungsabbrüchen handelt es sich um solche Vertragslösungen, die im dualen Ausbildungssystem nach Beginn der Ausbildungszeit und vor Ablauf der im Ausbildungsvertrag genannten Ausbildungszeit zustande kommen. Gesetzlich ist die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses in den §§ 21 und 22 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) verankert. Teilweise finden sich zudem Beendigungsregelungen in branchenspezifischen Tarifverträgen für Auszubildende, so z.B. dem Tarifvertrag für Auszubildende im öffentlichen Dienst (TVAöD).
Drei Arten vorzeitiger Vertragslösungen sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich:
- Ausbildender und Auszubildender schließen einen Aufhebungsvertrag im gegenseitigen Einvernehmen.
- Es erfolgt eine einseitige Kündigung durch den Ausbildenden oder durch den Auszubildenden, wobei dies nur aus einem wichtigen Grund (z. B. beharrlichem Arbeitsvertragsbruch) geschehen kann.
- Durch "höhere Gewalt" (z. B. den Tod des Ausbildenden) kann es zu einer vorzeitigen Beendigung des Ausbildungsvertrags kommen.
Unterlässt es der Auszubildende, bei Nichtbestehen der Abschlussprüfung vom Ausbildenden die Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses zu verlangen, endet hierdurch das Ausbildungsverhältnis mit Ablauf der ursprünglich vereinbarten Ausbildungszeit. Auch dies stellt faktisch einen Abbruch der Ausbildung ohne Abschluss dar.
Allein an den juristischen Bestimmungen zeigt sich, dass sich ein zweiter Blick lohnt, um herauszufinden, wer den Ausbildungsabbruch initiiert hat. Daran schließt sich auch die Frage nach dem weiteren Verlauf der Bildungsbiografie von Auszubildenden an.
Wie geht es danach weiter?
Studien zeigen: Ein Großteil der betroffenen Auszubildenden möchte weiterhin eine Ausbildung machen. Insgesamt gibt es unterschiedliche Formen des Verbleibs von Ausbildungsabbrechern (Feß, 1995, S. 29):
- "Abbruch nach unten"
- Gemeint sind 'echte' Abbrüche: Die Ausbildungsgänge werden ersatzlos beendet, so dass die Betroffenen als Ungelernte tätig oder arbeitslos sind.
- "Horizontaler Abbruch"
- Unter dieser Abbruchform werden berufliche Umorientierungen oder Maßnahmenwechsel innerhalb des dualen Systems verstanden (z.B. der Auszubildende wechselt den Betrieb).
- "Abbruch nach oben"
- Auf eine abgebrochene Ausbildung folgt eine Qualifikation außerhalb des dualen Systems (z. B. ein Hochschulstudium).
Hinter den einzelnen Kategorien verbergen sich äußerst unterschiedliche Abbruchgründe - und damit verbunden - individuelle bildungsbiografische Verläufe. Für erfolgreiche Rekrutierungsprozesse gilt deshalb, die Motive für den Abbruch und die sich daraus ergebenen Perspektiven aufzudecken.
Rekrutierung von Ausbildungsabbrechern - darauf kommt es an
So könnte der Rekrutierungsprozess um den Aspekt Ausbildungsabbruch ergänzt werden:
1. Einstellung zum Ausbildungsabbruch klären: Zu Beginn des Rekrutierungsprozesses sollte entschieden werden, wie viel Informationsbedarf zum jeweiligen Ausbildungsabbruch überhaupt besteht. Dazu könnten zum Beispiel folgende Fragen geklärt werden:
- Welche Gründe sprechen für die Einstellung eines Bewerbers mit Ausbildungsabbruch?
- Welche Gründe dagegen?
- Wie stark sollte der Ausbildungsabbruch im Vergleich zu weiteren Anforderungen (Schulabschluss, bestimmte Fähigkeiten, etc.) gewichtet werden?
2. Stellenausschreibung ergänzen: Ihre Stellenausschreibung mit Informationen zu Ihrem Unternehmen und den Anforderungen an Bewerbende können Sie um Hinweise ergänzen, dass auch Bewerbungen von Auszubildenden mit Ausbildungsabbruch willkommen sind.
3. Bewerbungsunterlagen sichten: Möglicherweise lassen sich nicht alle erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen anhand der schriftlichen Bewerbung ermitteln. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, auf Basis der Bewerbungsunterlagen offene Fragen vorzubereiten und in das Bewerbergespräch einfließen zu lassen.
4. Bewerbungsgespräch Offene Fragen vorbereiten und stellen: Geschlossene Fragen (z. B.: "Warum haben Sie die vorherige Ausbildung abgebrochen?") bergen das Risiko, dass sich das Gespräch um die Schuldfrage dreht und sich Bewerber in eine defensive Haltung gedrängt fühlen. Daraus ergeben sich für Bewerbende und Interviewer gleichermaßen entscheidende Nachteile: Bewerbern kann es schwer fallen, ihre Stärken zu zeigen - Interviewer erlangen wenig Aufschluss über die Eignung des Kandidaten. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, offene Fragen zu stellen, um die Blickrichtung auf das Potenzial der Kandidaten zu richten. So können offene Fragen aussehen:
- Welche Erfahrungen können Sie aus Ihrem bisherigen Ausbildungsverhältnis einbringen?
- Angenommen, Sie ständen erneut am Beginn Ihrer Ausbildungszeit - wie würden Sie aus heutiger Perspektive vorgehen?
- Welche Unterstützung von Betriebsseite könnten Sie gut gebrauchen, damit die Ausbildung zum Erfolg wird?
- Von wem benötigen Sie weitere Unterstützung?
5. Bewerbergespräch auswerten: Nach dem Bewerbergespräch geht es darum, sich ein Gesamtbild zu verschaffen. Folgende Fragen lassen sich zugrunde legen:
- Inwiefern stimmen das Anforderungsprofil und die Qualifikation des Bewerbers überein?
- Inwiefern spielt der Ausbildungsabbruch eine Rolle im positiven sowie im negativen Sinne?
Sicherlich bietet das Bewerbergespräch eine gewisse Informationsbasis, um die Passung zwischen Betrieb und Auszubildenden zu eruieren sowie den Ausbildungserfolg zu prognostizieren. Bestehen weiterhin grundlegende Zweifel, so kann die Eignung der Kandidaten durch ein kurzes Praktikum und durch die Probezeit geprüft werden.
Fazit
Es gibt zwar einen einzigen Begriff für Ausbildungsabbrüche - dahinter verbergen sich aber unterschiedliche Initiatoren, vielschichtige Gründe und Verläufe. Folglich sagt ein Ausbildungsabbruch an sich erst einmal wenig über die Eignung der Bewerbenden für die Ausbildungsstelle aus. Um passende Auszubildende zu finden ist es daher ratsam, zum einen Ausbildungsabbrüche differenziert und nur als einen Teil der gesamten Bildungsbiografie zu bewerten. Zum anderen lohnt es sich, im Rekrutierungsprozess den Hintergründen auf die Spur zu kommen. Auf diesem Weg ist das A und O 'richtige' Fragen zu stellen: Sowohl an sich selbst zur Reflexion eigener Vorbehalte, als auch an Bewerbende in einer offenen und damit potenzialorientierten Weise.
Weitere Materialien vom RKW Kompetenzzentrum zur Rekrutierung von Auszubildenden:
Autorin
Sarah Gerwing
gerwing(at)rkw.de