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u. dergl. bei Führungskräften die Qualität der Mitarbeiterführung und insofern auch die Gestaltung der Bedingungen für den Erhalt und die Entwicklung der psychosozialen Gesundheit der Mitarbeiter in einem Unternehmen gefährden? | u. dergl. bei Führungskräften die Qualität der Mitarbeiterführung und insofern auch die Gestaltung der Bedingungen für den Erhalt und die Entwicklung der psychosozialen Gesundheit der Mitarbeiter in einem Unternehmen gefährden? | ||
== Burn-out == | == Burn-out == |
Version vom 7. September 2015, 09:44 Uhr
Führungskräfte tragen nicht nur die Verantwortung für die Förderung der psychischen und physischen Gesundheit der Mitarbeiter, sie sind selbst - allein aufgrund ihrer Führungsrolle - in zunehmendem Maße vielfältigen psychischen Belastungen ausgesetzt, die immer häufiger zu Stressbelastungen und psychosomatischen Erkrankungen führen.
Insofern sind sie von dem Thema Erhaltung und Entwicklung der psychosozialen Gesundheit im Unternehmen doppelt betroffen: zum einen als verantwortliche Manager der Ressource "leistungsfähige Mitarbeiter" und zum anderen als selbst mit besonderen Risiken behaftete Gruppe.
Stress - Definition Als unangenehm empfundener Zustand, der von der Person als bedrohlich, kritisch, wichtig und unausweichlich erlebt wird. Er entsteht besonders dann, wenn die Person einschätzt, dass sie ihre Aufgaben nicht bewältigen kann. Mögliche Folgen sind: Befindlichkeitsstörungen, Angstzustände, hoher Blutdruck, nervöse Magenschmerzen, steigendes Herzinfarktrisiko, sinkende Leistung, erhöhte Fehlerzahl. Psychische Belastungen, die Stress auslösen, werden Stressoren genannt. Quelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2002
Die Rolle der Führungskraft ist einem mittlerweile weitverbreitetem Verständnis zufolge gekennzeichnet durch den Zwang, unter Bedingungen zunehmender Unsicherheit miteinander unvereinbare Interessen und Bedürfnisse auszugleichen - mit anderen Worten, ständig Balanceakte leisten zu müssen, die nicht (bestenfalls ausnahmsweise) gelingen können. Insofern ist die Führungsrolle ein Stressor per se.
Die Führungsrolle
1. Von der Führungskraft wird erwartet, dass sie die Interessen ihrer Mitarbeiter, der Gruppe, der Abteilung,der sie vorgesetzt ist,vertritt. Gleichzeitig muss sie die Interessen des Unternehmens bzw. der Unternehmensleitung durchsetzen,unabhängigdavon, ob sie damit einverstanden ist, oder nicht.
Damit sitzt die Führungskraft permanent strukturell zwischen zwei Stühlen, wodurch auch ihr Gestaltungsspielraum für die Umsetzung eigener Vorstellungen oder Ideale erheblich eingeschränkt ist. In diesem Spannungsverhältnis und aus den resultierenden Konflikten entsteht Stress.
2. Führungskräfte sind nicht Teil ihres Teams (ihrer Abteilung, Gruppe etc.) sondern herausgehoben. Und sie sind in der Regel auch dort nicht Teil eines Teams, wo sie sich unter Ihresgleichen befinden, eher Teil einer lockeren Verbindung miteinander konkurrierender Einzelkämpfer. Was also generell fehlt, ist die Möglichkeit, in vertrauensvollen Beziehungen mal ins Unreine zu denken, eigene Unsicherheiten, Schwächen und Fehler offen zu thematisieren und ehrliches Feedback zu bekommen - eine zunehmend wichtigere Voraussetzung, um in der Unsicherheit eigene Sicherheit gewinnen zu können.
Genauso schwierig wie die Herstellung vertrauensvoller Nähe ist die Realisierung notwendiger Distanz: Alles, was eine Führungskraft :tut, wird von ihren Mitarbeitern unausweichlich mit besonderen Bedeutungen versehen (auch dann, wenn sie nichts tut) und unterliegt :genauer Beobachtung und (Über-)Interpretation. In diesem Sog ist Distanziertheit oft kaum möglich (weil eben die Distanz genauso :wie die Nähe als bedeutungsvolle kommunikative Handlung wahrgenommen wird). Die Führungsrolle verträgt sich also weder mit Nähe noch mit Distanz, obwohl die Aufgabe der Führungskraft, Entscheidungen zu treffen, beides in hohem Maße erfordert.
3. Diese originäre Führungsaufgabe, Entscheidungen zu treffen, findet auf immer unsicherer werdenden Grundlagen statt. Auch daraus entsteht Stress. In der Praxis werden verschiedene Möglichkeiten, diesen Stress zu vermeiden, wahrgenommen.
Entweder in dem Versuch, durch (scheinbar) perfekte Kontrollsysteme im eigenen Verantwortungsbereich alles "im Griff" zu behalten; :oder durch das ständige Hinausschieben von Entscheidungen, oder durch eine Art des Entscheidens, die bei unvorhergesehenen Konsequenzen das Abschieben der Verantwortung auf Andere (Mitarbeiter) ermöglicht. All diese Ausweichmanöver helfen bestenfalls kurzfristig - auf Dauer führen sie meist zu vermehrtem Stress, vermehren Konflikten und/oder burn out durch Überlastung.
Stressoren der Führungsrolle
- Konflikte aus der Vermittlung strukturell miteinander unvereinbarer Interessen
- Fehlende Beziehungen sozialer Nähe bei gleichzeitigem
- Fehlen sozialer Distanzierungsmöglichkeiten
- Zunehmend unsichere Entscheidungsgrundlagen
- Problemverschärfende Führungsideale
Das offizielle Bild von Führung, das immer noch in den meisten Unternehmen besteht, erschwert zusätzlich den Umgang mit diesen Stressfaktoren: Gute Führungskräfte dürfen keine Unsicherheit zeigen, müssen alles im Griff haben, brauchen niemanden, der sie in ihren Führungsaufgaben unterstützt, sind entscheidungsfähig und -freudig und - last not least - führen in erster Linie sachbezogen, über ihre hohe fachliche Kompetenz (insbesondere Führungskräfte im unteren und mittleren Management).
Die meisten Führungskräfte versuchen, diesem Bild gerecht zu werden, denn sie werden - offen oder insgeheim - an diesen idealen Vorstellungen gemessen bzw. wurden auch danach für ihre Führungsfunktion ausgesucht. Faktisch haben in diesem Bild der Realität angemessenere stressreduzierende Vorstellungen wie die folgenden keinen Platz (bestenfalls mitunter als Lippenbekenntnisse).
Führung heute
- Perfektionsansprüche sind unrealistisch - sinnvoller ist ein Konzept des Lernens aus Fehlern (also auch des Würdigens von Fehlern).
- Jede (Führungs-)Entscheidung hat - neben den beabsichtigten (die oft gar nicht eintreten) - unbeabsichtigte Wirkungen (das gilt auch für das Nicht-Entscheiden). Führungskräfte haben daher die Dinge oft weniger im Griff als sie glauben.
- Entscheidungen, die getroffen werden müssen, basieren heutzutage immer weniger auf Gewissheiten, manchmal lediglich auf :konstruierten Pseudogewissheiten. Bei steigendem Entscheidungsdruck werden die Entscheidungsgrundlagen zunehmend vage. Keine :Führungskraft kann mit allen Mitarbeitern gut auskommen.
- Eine Führungskraft, die mehr als 50 Stunden pro Woche arbeitet, hat oft Probleme mit dem Delegieren.
- Führung, die primär fachlich ausgerichtet ist, gerät sehr leicht in destruktive Gruppendynamiken, findet dort dann nur schwer wieder heraus und verfügt kaum über geeignete Instrumente zur Bearbeitung solcher Dynamiken.
- Führungskräfte/-konzepte, die versuchen, Personalführung, fachliche Führung und Kostenmanagement in einer Hand zu vereinen, sind illusionär.
Probleme beim Verfolgen des herkömmlichen Führungsideals
Das Verfolgen des herkömmlichen Führungsideals unter den Bedingungen zunehmender Schwierigkeiten des Ausbalancierens von Gegensätzen - s. o. - kann zur Folge haben, dass Führungskräfte immer weniger in der Lage sind, sich in ihrer beruflichen Arbeit wohl zu fühlen. Macht eine gute Bezahlung hier wirklich alles wett, wie oft zu hören ist? Oder ist es nicht vielmehr so, dass unausweichliche Folgen wie die Zunahme von
- Demotivation
- Burn out
- Suchtverhalten
- pseudorationalem Entscheiden
- sozialer Isolation
u. dergl. bei Führungskräften die Qualität der Mitarbeiterführung und insofern auch die Gestaltung der Bedingungen für den Erhalt und die Entwicklung der psychosozialen Gesundheit der Mitarbeiter in einem Unternehmen gefährden?
Burn-out
Das Burn-out-Syndrom (burn-out - ausgebrannt) wird durch drei Elemente charakterisiert: Emotionale Erschöpfung, Dehumanisierung und Zynismus sowie eine verminderte Leistungszufriedenheit und -erfüllung. Stress spielt bei der Entstehung des Burn-out eine Schlüsselrolle.
Empfehlungen zur Stressreduzierung für Führungskräfte
Sicherheit gewinnen im Umgang mit Unsicherheit:
- Falsche Ideale der Gewissheit von Entscheidungen abbauen und pragmatische Hypothesen als Entscheidungsgrundlage akzeptieren
- Normen/Rezepte eines "guten" Führungsstils ignorieren - stattdessen den eigenen Führungsstil reflektieren und verbessern Assessment, Coaching, Audits etc.)
- Gegensätze/Mehrdeutigkeiten aushalten, nicht in "richtig" und "falsch" auflösen wollen
- ständig aus der Reflexion von Fehlern lernen
Die erforderliche Nähe und Distanz herstellen:
- Einbindung in horizontale Netzwerkstrukturen außerhalb des eigenen Bereichs/Unternehmens, die vertrauensvollen Gedankenaustausch ermöglichen
- Kollegiale Supervisionsprogramme mit/ohne externe Unterstützung
- Keine "so-tun-als-ob-Verbrüderungen" im eigenen Bereich
- Im eigenen Bereich Rückzugsräume schaffen, ggfls. Termine "mit sich selbst" machen
- Gelegentliches Management-by-walking-around um Fehl-/Überinterpretationen des eigenen Verhaltens durch Mitarbeiter gegenzusteuern
Mitarbeiterführung und fachliche Führung ausbalancieren:
- Möglichst viele fachliche Aufgaben loslassen/delegieren, um Konzentration auf die wesentlichen Führungsaufgaben leben zu können
- Weder Abwertungen noch Idealisierungen durch Mitarbeiter allzu ernst nehmen
- Das sachliche/fachliche Verbesserungswissen der Mitarbeiter sehr ernst nehmen, würdigen, entwickeln und nutzen
Autor
Dr. Thomas Hoffmann
t.hoffmann(at)rkw.de